"D i e b e s o n d e r e M u t t e r"
Ich stelle mir vor, wie Gott über der Erde schwebt und sich die Werkzeuge seiner Arterhaltung mit größter Sorgfalt und
Überlegung aussucht. Er beobachtet sehr genau und diktiert dann seinen Engeln Anweisungen ins riesige Hauptbuch:
„Armstrong, Beth: Sohn, Schutzheiliger: Mathias
Forest, Marie: Tochter, Schutzheiliger: Cecilie
Ruthledge, Carrie: Zwillinge: Schutzheiliger? Gebt ihr Gerhard, der ist es gewohnt, dass geflucht wird.“
Schließlich nennt er seinem Engel einen Namen und sagt lächelnd:
„Der gebe ich ein behindertes Kind.“
Der Engel wird neugierig:“ Warum gerade ihr, oh Herr? Sie ist doch so glücklich:“
„Eben deswegen,“ sagt Gott lächelnd. „Kann ich einem behinderten Kind eine Mutter geben, die das Lachen nicht kennt? Das
wäre grausam.“
„Aber hat sie denn die nötige Geduld?“, fragte der Engel.
„Ich will nicht, dass sie zuviel Geduld hat, sonst ertrinkt sie in einem Meer von Selbstmitleid und Verzweiflung. Wenn der
anfängliche Schock und Zorn erst abgeklungen sind, wird sie es tadellos schaffen. Ich habe sie heute beobachtet. Sie hat Sinn für
Selbständigkeit und Unabhängigkeit, die bei Müttern so selten und so nötig sind. Verstehst du, das Kind, das ich ihr schenken
werde, wird in seiner eigenen Welt leben. Und sie muss es dazu bringen, in der ihren zu leben. Das wird nicht leicht werden.“
„Aber Herr, soviel ich weiß, glaubt sie nicht einmal an dich“, sagte der Engel
Gott lächelt:“ Das macht gar nichts, das bringe ich schon in Ordnung. Nein, sie ist hervorragend geeignet. Sie hat genügend
Egoismus.“
Der Engel ringt nach Luft:“ Egoismus? Ist das denn eine Tugend?“
Gott nickt:“ Wenn sie sich nicht gelegentlich von dem Kind trennen kann, wird sie das alles nicht überstehen. Diese Frau ist es,
die ich mit einem nicht ganz vollkommenen Kind beschenken werde. Sie weiß es zwar noch nicht, aber sie ist zu beneiden. Nie
wird sie ein gesprochenes Wort als etwas selbst verständliches hinnehmen. Nie einen Schritt als etwas Alltägliches. Wenn ihr
Kind zum ersten mal Mama sagt, wird ihr klar sein, dass sie ein Wunder erlebt. Wenn sie ihrem blinden Kind einen Baum oder
einen Sonnenuntergang schildert, wird sie ihn so sehen, wie nur wenige Menschen meine Schöpfung jemals sehen.
Ich werde ihr erlauben, alles deutlich zu erkennen, was auch ich erkenne – Unwissenheit, Grausamkeit, Vorurteile -, und ich werde
ihr erlauben, sich darüber zu erheben. Sie wird niemals alleine sein. Ich werde bei ihr sein, jeden Tag ihres Lebens, jede Minute,
weil sie meine Arbeit ebenso sicher tut, als sei sie hier neben mir.“
“Und was bekommt sie für einen Schutzheiligen, ?“ fragte der Engel mit gezückter Feder. Da lächelte Gott:“ Ein Spiegel wird
genügen!“
aus; "Die schönsten Engel-Legenden"